Bonsoir, Yovo!

Im Rahmen unseres Forschungsprojektes WALF-Pack hatte ich die Möglichkeit, noch einmal nach Westafrika zu reisen. Meine Kollegin Barbara war schon einen Monat in Benin vor Ort, als ich mich Ende Oktober auf den Weg nach Abomey-Calavi machte. Ich kam nachts an, war ziemlich erledigt und auch nicht ganz gesund. Zum Glück wurde ich von Babs am Flughafen empfangen, von unserem Fahrer Fernand, den wir schon vom letzten Mal kannten, freudig begrüßt und ab ging es durch die Nacht in Richtung unserer Unterkunft. Die Wärme, die hohe Luftfeuchtigkeit und der sehr eigene Geruch nach Rauch, weil viele Abfälle (und anderes) einfach auf offener Straße verbrannt werden, all das kam mir schon bekannt vor und ich war überrascht wie vertraut es sich anfühlte, wieder nach Benin zu kommen.

Den erste Tag, ein Sonntag, verbrachten wir fast vollständig in unseren Appartements und auf unserer riesigen Terrasse, aßen Früchte und Banana Pancakes, beobachteten die vielen Echsen und Vögel, die bis ans Haus kamen und hörten den Lärm der Straße. Ein mal gingen wir zum Einkaufen in einen kleinen Supermarkt, und sich frei zu Fuß durch die Straßen zu bewegen war doch sehr anders als bei meinem letzten Aufenthalt, bei dem wir eigentlich immer gefahren wurden. Ich war darauf vorbereitet, angestarrt zu werden, weil man als Weiße dort der totale Exot ist. Am ersten Tag hat es mich dennoch etwas überfordert, so direkt in das Straßenleben einzutauchen, ständig angestarrt zu oder gegrüßt zu werden. Auch wenn es die Leute oft sichtbar viel Überwindung kostete, die Weißen zu grüßen. Dazu der halsbrecherische Straßenverkehr mit pausenlosem Gehupe und unberechenbaren Moped-Fahrern, die wie ein Bienenschwarm durch die Straßen schwirren, so dass man wirklich sehr gut aufpassen muss, in welchem Moment man über die Straße gehen kann. Babs nahm mich dann meistens an die Hand, wie ein kleines Kind, damit ich keinen falschen Schritt im falschen Moment mache, sie war das Straßenleben natürlich schon viel besser gewohnt.

Wir wohnten gar nicht weit entfernt von der Universität Abomey-Calavi, so dass wir am Montag zu Fuß zur Arbeit gehen konnten. Das taten wir jeden Tag, allerdings hielten auch immer Zemidjans, also die gelb gekleideten Moped-Taxifahrer, neben uns an, weil sie die beiden Weißen fahren wollten. Im Oktober/November war der Übergang von der Regen- zur Trockenzeit und direkt am ersten Tag zeigte mir das Wetter, was ein tropischer Wolkenbruch ist. Das Wasser fiel, als wäre in Schalter umgelegt, in unglaublichen Mengen vom Himmel, so dass wir uns unterstellen und warten mussten. Unsere Sorge, zu spät zu kommen, war natürlich total unbegründet, denn alle unsere beniner Kollegen waren noch viel später dran. Außerdem war der Strom in der Uni ausgefallen, so dass erst ein mal ein neuer Konferenzraum improvisiert werden musste und wir unser Projekttreffen erst mit sehr viel Verspätung anfangen konnten. Warten, improvisieren, das Beste aus den schwierigen Verhältnissen in Benin machen, so war es eigentlich fast immer.

Ich habe es sehr geliebt, durch die Straßen von Abomey-Calavi zu gehen, in das Straßenleben einzutauchen. An jeder Ecke verkauft jemand irgendwas, vor allem Obststände sind allgegenwärtig. Viele winzige Läden säumen die Straßen, ab und zu konnte man auch in kleine Nähereien schauen, in denen durchweg alte, pedalbetriebene Singer-Nähmaschinen aus dem letzten Jahrhundert standen.

Irgendwann gewöhnte ich mich auch daran, dass wir alle paar Meter mit „Bonjour“ oder „Bonsoir“ gegrüßt wurden. Vor allem die Kinder sind manchmal wie erstarrt, als sie uns gesehen haben, oder haben sich wie verrückt gefreut und „Yovo! Yovo! Bonsoir!“ gerufen. Yovo, das ist das Wort in der lokalen Landessprache für Weiße, das wir nicht nur als Gruß hörten, sondern auch, wenn Fernand mit einem Händler für uns um den Preis verhandelte und das Gespräch mit einem Fingerschnippen in die lokale afrikanische Sprache, in Süd-Benin ist das meistens Fon, wechselte. Dabei hat das Wort Yovo per se keine Wertung, ist also überhaupt nicht mit rassistischen Bezeichnungen für Schwarze vergleichbar, wie wir sie haben. Aber die Art und Weise, wie Yovo ausgesprochen wird, lässt einen manchmal ahnen, ob der/diejenige eher offen und neugierig oder skeptisch gegenüber Weißen ist. Mir ist schnell aufgefallen, dass viele Beniner einen sehr unnahbaren Gesichtsausdruck zeigen und erst mal eher vorsichtig sind. Doch sobald man mit ihnen gemeinsam gelacht hat, oder erklärt, dass man nicht das erste Mal in Benin ist, fangen sie an, ihr Herz zu öffnen. Babs, die schon das dritte Mal dort war, wollten sie am liebsten einbürgern und ihr einen beniner Pass geben.

Besonders viele erstaunte und freudige Reaktionen haben wir erhalten, als wir erzählt haben, wie sehr wir das traditionelle Essen mögen, dass wir eine Schwäche für Waragashi (ein spezieller Käse) und Gboma (ein Blattgemüse) haben und dass Babs das schon für mich gekocht hat. Auch meine Vorliebe für Amiwo (eine Beilage aus Mais-Paste mit Tomaten und Gewürzen), Moyo (traditionelle Tomaten-Zwiebel-Soße) und Fisch wurde honoriert, denn das ist ein sehr einfaches, traditionelles Gericht. Richtig lustig wurde es schließlich, als unsere Kollegen uns von dem lokalen Schnaps Sodabi erzählten, der aus Palmwein gebrannt wird, und wir den unbedingt probieren wollten. Dann wurden wir lachend darauf hingewiesen, dass wir bloß vorsichtig sein sollten, weil Sodabi sehr stark ist, und wir grinsten nur, sagten nickend „Doucement, doucement!“, was für nur noch mehr Gelächter sorgte. Der Schnaps war wirklich sehr stark, als wir ihn dann probierten, ich wollte trotzdem eine Flasche mit nach Hause nehmen. Im ersten Supermarkt gab es nur Mischgetränke mit Whiskey und als ich nach purem Sodabi fragte, konnte sich der Mitarbeiter ein Grinsen kaum verkneifen. Im zweiten Supermarkt hatten wir dann Glück, doch als wir an der Kasse waren, zuckte der Kassiererin ein Lächeln über das Gesicht und wir mussten lachen. Sie fragte, warum wir so lachten und wir erklärten, dass alle Beniner lachen, wenn wir nach Sodabi fragen. Warum sie denn da lachen würden, wurden wir gefragt, aber das wussten wir natürlich auch nicht. Auch sie wies uns breit grinsend hin, dass wir bloß vorsichtig sein sollten mit dem Zeug und bestätigten wieder „Doucement, doucement!“.

Wir haben viel gearbeitet, in der Uni lief es oft auf 10 Stunden hinaus und auch nach Feierabend saßen wir bis spät abends noch an der Vorbereitung unseres Workshops. Wir waren sehr froh, dass der 1.11. auch in Benin Feiertag war und wir einen Ausflug planen konnten. Am Vorabend waren wir noch mit den Kollegen essen und kurz in einer Bar etwas trinken. Auf dem Weg dorthin fragte ich Fernand, ob Halloween in Benin irgendwie bekannt sei, aber er hatte noch nie von Gesichtern in Kürbissen gehört. Spät abends kamen wir dann an einer sehr europäischen Bar vorbei, die eine Halloween-Party hatten, es war auch entsprechend geschmückt. Allerdings wurden die Gruselgesichter in Ananas statt Kürbisse geschnitzt, was sehr viel lustiger aussieht und natürlich der Tatsache geschuldet ist, dass es dort außer Kalebassen nichts kürbisartiges gibt.

Für den Ausflug an unserem freien Tag haben wir Grand Popo angesteuert, was ein Küstenstreifen ganz im Westen von Benin ist und direkt an der Grenze zu Togo liegt. Ohne eine genaue Tagesplanung gemacht zu haben, fuhren wir einfach mit Fernand los, konnten einen Blick auf die Landschaft erhaschen und landeten schließlich in Ouidah, der Wiege des Voodoo. Wir besuchten einen heiligen Wald mit uralten Bäumen. Dort gab es viele Skulpturen und unser Guide erklärte uns geduldig, den Zusammenhang der verschiedenen Mythen, Religion und lokalen Geschichte. Es ging dabei um einen König, der verschwunden ist und sich in einen Baum verwandelt hat. Die sehr weltliche Erklärung, dass er gestorben war, wurde als Beleidigung angesehen und jeder, der das so aussprach, war des Todes. Am heiligen Baum des Königs baten wir alle um die Erfüllung unserer Wünsche, was in diesem Urwald mit riesigen Fledermäusen etwas Magisches hatte.

In Grand Popo engagierten wir einen neuen Guide und waren sehr froh über die Hilfe von Fernand, der nach ein paar Worten in Fon immer genau einzuschätzen weiß, ob ein Guide vertrauenswürdig ist oder nicht. Wir schauten erst einen „sehr bekannten, sehr großen“ Platz an, der ziemlich unspektakulär war. Dort findet jedes Jahr ein großes Fest statt, dass aber leider gerade vorbei war, bei dem man zusammen isst und trinkt, Wildfremde miteinander am Strand picknicken und dabei so zusammenwachsen, dass sie danach Brüder sind. Es ging weiter in Richtung „La Bouche du Roy“, ein riesiges Schutzgebiet, wo der Fluss Mono in den Atlantik mündet. Hier gibt es wahnsinnig breite Sandstrände, eine lebensgefährliche Brandung und, direkt hinter dem Damm aus Sand, große Feuchtgebiete mit Mangroven.

Unser erster Halt war eine Schildkröten-Schutzstation. Hier wurde uns erzählt, wie Einheimische in Eigeninitiative Babyschildkröten aufzogen, verletzte Schildkröten gesund pflegten und Fischern die Netze reparierten, damit sie Schildkröten nicht töten, sondern an die Station übergeben oder freilassen. Wir durften eine größere und auch die kleineren Schildkröten in die Hand nehmen und all unsere Fragen stellen. Schließlich wurden 4 Babyschildkröten aus dem Becken gefischt, in eine rote Schüssel mit Meerwasser verfrachtet und wir gingen zum Strand. An der Wasserkante, an der auch immer Krebse auf und ab flitzten, durften wir die Schildkröten dann in die Freiheit entlassen.

Währenddessen trommelte der Tierschützer ununterbrochen auf seinen Wassereimer, als eine Art Schutzritual. Danach gingen wir weiter den langen Sandstrand entlang, spazierten durch die Palmenwälder an verlassenen Hotelruinen vorbei. Wir warfen einen Blick auf die Touristenboote, die Touren in die Mangroven machten und nahmen uns das für den nächsten Besuch vor. In einer netten Bar am Strand, ‚Chez Mathias‘, aßen wir schließlich ein spätes Mittag, entspannten in der Hängematte und ließen den Rest des Nachmittags an diesem Traumstrand an uns vorüber ziehen. Am späten Nachmittag brachen wir dann genau rechtzeitig auf, um noch vor Einbruch der Dunkelheit zuhause anzukommen.

An unserem letzten Tag wollten wir eigentlich zum Dantokpa Market in Cotonou, dem größten Freiluftmarkt in Westafrika. Leider kam uns ein heftiges Unwetter mit Sturzbächen an Wasser dazwischen. Innerhalb kürzester Zeit waren die Straßen überschwemmt. Also fuhren wir zum Marché artisanal, dem Künstlermarkt, um noch Mitbringsel für unsere Lieben daheim zu besorgen. Danach waren wir auch schon ganz schön kaputt und wir fuhren heim, um die letzten Reste zu packen. Gegen 8 fuhren wir dann zum Flughafen, um die Heimreise anzutreten, aber dass das eine ganz andere Geschichte ist, habe ich euch ja schon erzählt.

CC BY-NC-SA 4.0 Bonsoir, Yovo! von Marja Katz ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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Biologin aus Köln mit zwei kleinen Kinnings. Liebt ihre Familie, ihre Nähmaschine, ihr Cello.
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