Visible Mending von Jenny Wilding Cardon – Buchrezension

Mit der Inspiration von der Annäherung hatte ich viel Schwung, mich wieder mehr einem meiner liebsten Hobbys zu widmen. Die Anregungen aus den vielen Gesprächen, ließen mich ein wenig in der aktuellen Näh-Literatur stöbern und einem Buch über Visible Mending konnte ich nicht widerstehen. Visible Mending, also der offensive Umgang mit dem Ausbessern kaputter Kleidung, ist ein spannendes Thema, das gerade in aller Munde ist. Deswegen möchte ich euch das Buch von Jenny Wilding Cardon, einer us-amerikanischen Autorin, gern vorstellen.

Zunächst war ich ein bisschen überrascht, weil ich das Buch für 20€ relativ schmal fand, der Inhalt hat es für mich aber mehr als wett gemacht. Die Autorin hält sich nicht lange mit allgemeinem Geplänkel auf, sondern formuliert ihre Intention in einem einseitigen Vorwort des Buches. Danach geht es mit den sehr klar strukturierten Kapiteln los, die zunächst einen Technikteil beinhalten und dann an Beispielprojekten Inspirationen zur Umsetzung geben.

Visible Mending is half how-to book, half inspiration guide. My goal is to provide a technique book for people who have never sewn before and an inspiration book for people who have been sewing all their lives.

Besonders gut dabei gefällt mir der Schreibstil der Autorin. Man merkt sofort, dass sie sehr genau weiß, wovon sie schreibt. Sie bringt ihr Wissen aber auf eine so sympathische Art und Weise rüber, als würde man ihr beim Nähkränzchen gegenüber sitzen und mit ihr schwatzen. Es sind immer wieder Zitate eingestreut, die das mit sehr schönen Fotografien illustrierte Buch auflockern. Und denen man die Leidenschaft für das Nähen anmerkt. Wenn man Stopfen, Flicken, Ausbessern oder Nähen von Hand langweilig fand – nach diesem Buch wird man es lieben, einfach weil es so passioniert geschrieben und liebevoll aufbereitet ist.

Das erste Kapitel widmet sich ‚Boro Stitching‘, der japanischen Kunst des Flickens. Es wird sehr genau erklärt, wie verschiedene Garne bei den eng platzierten, gleichmäßigen Stichen wirken und mit welchen Techniken man Patches am besten einarbeitet. An verschiedenen Projekten wird die Umsetzung auf verschiedenen Materialien und Kleidungsstücken bzw. Accessoires illustriert. An dieses Kapitel schließt jenes über Stickarbeiten von Hand an, das mit einer Übersicht über die wichtigsten Stiche beginnt. Die gezeigten Beispielprojekte reichen von leicht und dezent bis hin zu arbeitsintensiv und aufwendig. Die verwendeten Flickarbeiten umspannen T-Shirts, Pullover, Turnschuhe, Tischdecken und sogar eine amerikanische Flagge.

Im Anschlusskapitel wird das Anbringen von Patches beschrieben. Mit welchen Techniken die Flicken am besten fixiert werden können, z.B. mit Freezer Paper oder English Paper Piercing. Ob Strickstoffe, Jeans oder mit einem Mix aus Materialien, eine Vielfalt von Applikationstechniken wird beschrieben. Wie im gesamten Buch hat jedes Projekt eine ausführliche Beschreibung, wie genau die Arbeit umgesetzt wurde, was ein Nacharbeiten auch mit wenig Erfahrung ermöglicht.

Das vorletzte Kapitel widmet sich dem Thema Stopfen, einer Technik, die in Zeiten von Wegwerfmode fast schon in Vergessenheit geraten ist. Aber wie die Autorin sehr treffend einleitet ‚Repairing is caring‚. Im Vergleich zu den vorhergehenden Techniken wird diese als die herausforderndste beschrieben.

Darning is a lot like weaving. Instead of hiding a hole or sewing a hole closed, darning fills in a hole with woven thread or yarn, creating a new fabric in place of the fabric that’s missing.

Neben der eigentlichen Arbeit zu weben und umsticken, geht es auch um die Fixierung und Stabilisierung des Loches. Ob mit einer Einlage oder mit Rückstichen, die Autorin gibt genaue Anweisungen, welche Methode für welches Material die beste und haltbarste ist.

Das letzte Kapitel widmet sich dem Ausbessern mit der Nähmaschine, das nicht für alle Materialien und Kleidungsstücke gleich gut geeignet ist, die Arbeit aber sehr beschleunigen kann. Technisch geht es vor allem um das freie Nähen mit der Maschine (im Deutschen auch „nähmalen“). Aber auch das akkurate Applizieren von Flicken mit der Maschine, ob in der Lage vor oder hinter dem Hauptstoff, wird beschrieben.

With a simple straight stitch, you can angle, curve, and seesaw your way around mendable areas, with patches or without. And with a free-motion foot – typically used for machine quilting – you can really go wild with your stitching. It’s so easy to geht hooked on these techniques, you’ll be grabbing a seam ripper to make a tear or hole, just for the fun of mending the machine way.

Insgesamt gefällt mir das Buch ausgesprochen gut. Es ist schmal, aber die Informationsdichte ist sehr hoch und die Autorin kommt immer direkt zum Punkt. Man muss wichtige Inhalte nicht suchen, weil sie in einem Übermaß schöner Bilder und selbstverständlicher Grundlagen untergehen. Die Mischung aus Kreativität und Technik finde ich sehr ausgewogen. Besonders gelungen finde ich die Gestaltung und den Schreibstil der Autorin, der begeisternd und auf Augenhöhe mit der Leserin ist. Ich fand das Englisch sehr gut verständlich und musste nur wenige Vokabeln nachschlagen. Die Bilder sind allerdings nicht selbsterklärend und Schritt-für-Schritt-Fotos wurden zugunsten einer Vielfalt der beschriebenen Projekte und Techniken weggelassen. Deswegen ist es für jemanden, der kein Englisch kann, weniger geeignet. Darüber hinaus würde ich es aber auf jeden Fall weiter empfehlen.

CC BY-NC-SA 4.0 Visible Mending von Jenny Wilding Cardon – Buchrezension von Marja Katz ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Avatar-Foto

Biologin aus Köln mit zwei kleinen Kinnings. Liebt ihre Familie, ihre Nähmaschine, ihr Cello.
3 comments
  1. Danke für die ausführliche Besprechung. Klingt sehr lohnend.
    LG,
    Claudia

  2. Auch von mir ein Dank. Was ich bisher über Bücher zu diesem Thema gelesen habe, ließ mich vor einer Anschaffung zurückschrecken. Aber dieses scheint mir noch eine gute Ergänzung für meine workshops zu sein. Darf ich mir deine Formulierung des „offensiven Reparierens“ ausleihen?
    LG, Bele

    1. Avatar-Foto

      Natürlich darfst Du Dir den Begriff ausleihen, ich meine sogar, den hätte ich selber auf der Annäherung nur aufgeschnappt. Ich kann Dir das Buch gern auch leihen, wenn Du vor der Anschaffung mal reinschauen möchtest…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.